Jagic V. Entstehungsgeschichte der kirchenslavischen Sprache. Berlin, 1913
Vorrede
In Jahre 1900 erschien in den Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, Band XLV1I, meine Schrift: »Zur Entstehungsgeschichte der kirchenslavischen Sprache«, in zwei Hälften, als Abhandlung I und III des genannten Bandes. Sie ist nicht mehr im Buchhandel zu haben, da sowohl die einzelnen Abhandlungen wie der ganze Band schon längst vergriffen sind. Zu wiederholten Malen wurde mir von verschiedenen Seiten der Wunsch nahe gelegt, einen Wiederabdruck meiner Schrift zu veranstalten. Nicht leicht entschloß ich mich dazu. Innerhalb der zwölf Jahre, seit dem Erscheinen derselben, sind allerlei neue, nicht nur mit meiner Darstellung, sondern auch untereinander kaum vereinbare Ansichten laut geworden, deren Bekämpfung und Widerlegung mir widerstrebte. Wenn ich daher endlich und letztlich dennoch dem Wunsche nach einer neuen Ausgabe meiner Entstehungsgeschichte nachgab, so geschah das in der Weise, daß sich die Abänderungen in der Darstellung des ersten, geschichtlichen Teils meiner Schrift auf ganz kurze Andeutungen des Standpunktes beschränkten, den hinsichtlich der einzelnen Phasen in dieser wichtigen Kulturfrage die verschiedenen Gelehrten, die seit der ersten Ausgabe meines Werkes zu Worte kamen, einnehmen. Darum sind die Kapitel 1—52 (auf S. 1—270) dieser neuen Ausgabe im wesentlichen eine Wiederholung der in der ersten Ausgabe gegebenen Darstellung, allerdings mit manchen Berichtigungen oder Ergänzungen. Auch das Kapitel 53 (S. 270—281) enthält das in der alten Ausgabe in den Paragraphen 58—59 Gesagte. Das weiter folgende aber, der letzte Teil der Schrift, der die lexikalische Charakteristik der kirchenslavischen Sprache in ihrem ersten und ältesten Entwicklungsstadium bietet, wurde für die neue Ausgabe einer gründlichen Umarbeitung unterzogen, die jetzt beinahe die Hälfte des Gesamtumfangs (S. 281—479) einnimmt und hoffentlich nicht nur eine Erweiterung nach äußerem Umfang, sondern auch eine Vertiefung in die Frage selbst, mit neuen aus der Vergleichung der ältesten Denkmäler untereinander sich ergebenden Beobachtungen und Anregungen, gewährt. Die kaiserliche Akademie der Wissenschaften hat den Wiederabdruck der Schrift, die in ihren Publikationen erschienen war, gestattet und sie wurde von mir der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin Uberlassen.
W i e n 15. November 1912.
V. Jagic.
Title 542
Vorrede 544
Inhaltsverzeichnis 546
§ 1. Die Frage über die Entstehung der kirchenslavischen Sprache wird im Zusammenhang mit der kurzen Darstellung der Wirksamkeit der beiden Slavenapostel unter Berücksichtigung neuer Quellen und neuer Gesichtspunkte behandelt 1
§ 2. Die Berufung des Brüderpaares nach Mähren bildet den Ausgangspunkt. Zur ältesten Geschichte des Landes. Der mährische Fürst wendet sich nach Konstantinopel aus kirchenpolitischen Motiven. Daher der besondere Charakter der neuen Mission. Die Ankunft der Missionäre ins Land nach vollendeten Vorarbeiten 5
§ 3. Der ethnographische Charakter Altmährens. Ansichten Kopitars, Dümmlers, Miklosichs 15
§ 4. Die slavische Liturgie hatte politischen Hintergrund, daher die ungleiche Beurteilung derselben seitens der Päpste. Die nächsten Aufgaben der beiden Missionäre in Mähren. Besuch in Pannonien. Aufenthalt in Venedig 20
§ 5. Aufnahme der Missionäre und ihrer Leistung in Rom. Kritik der neuesten darüber ausgesprochenen Ansichten, die auf der Leugnung der Echtheit einzelner Zeugnisse beruhen. Konstantins Tod in Rom. Streitfrage, ob er als Bischof starb. Umfang seiner literarischen Tätigkeit 26
§ 6. Sichere Beteiligung Konstantins an der Herstellung der slavischen Schrift, die neuerdings mißverständlich gegen das ausdrückliche Zeugnis der ältesten Quellen in Abrede gestellt wurde. Erwähnung seiner im Schreiben des Papstes Hadrian, dessen Echtheit in Schutz genommen wird 33
§ 7. Method wird nach Pannonien geschickt, zunächst nicht als Bischof. Sein Auftreten ruft Protest hervor: als Bischof wird er gewaltsam aus dem Lande entfernt. Seine Leidensgeschichte nach den neuentdeckten sicheren Zeugnissen 42
§ 8. Das Verhalten der weltlichen Fürsten zur Verfolgung des Methodius. Rostislav wird von Svatopluk zum Fall gebracht. Gährung in Mähren, günstige Wendung für die slavische Liturgie. Methode segensreiche Wirksamkeit seit seiner Befreiung und Rückkehr nach Mähren 48
§ 9. Die Stellung des päpstlichen Stuhles gegenüber der slavischen Liturgie. Methods zähes Festhalten an derselben. Svatopluks Schwanken. Die Rolle eines Priesters Johannes. Method wird nach Rom berufen 52
§ 10. Die Befürchtung der mährischen Anhänger des Methodius erfüllte sich nicht. Papst Johannes VIII. billigte seine Wirksamkeit. Die Echtheit der die slavische Liturgie gutheißenden Bulle steht urkundlich und inhaltlich fest. Analyse derselben. Methode Sieg war nicht von Dauer 58
§ 11. Die slavische Liturgie breitet sich aus: einerseits nach Böhmen, Quellen über die angebliche Taufe Borivojs; andererseits nach Bulgarien und Kroatien 69
§ 12. Methods Reise nach Konstantinopel. Parteinahme des Kaisers Basilius für die slavische Liturgie, vielleicht ein politisches Mittel 73
§ 13. Die letzten Taten des Methodius. Seine literarische Tätigkeit. Die angebliche Übersetzung der ganzen heiligen Schrift und andere Werke. Sein Tod und sein Nachfolger 80
§ 14. Das Verhalten des Papstes Stephan V. gegenüber der slavischen Liturgie. Sein Kommonitorium und der Text des in Heiligenkreuz gefundenen Schreibens an Svatopluk, dessen Echtheit nicht sicher steht 86
§ 15. Wichings Partei gegen die Methodianer, Slavopluks zweideutiges Benehmen. Verbannung der angesehensten Schüler schwächt die Stellung der slavischen Liturgie in Mähren und Pannonien, ohne sie gänzlich zugrunde zu richten, wie man das aus der späteren Opposition des bayerischen Episkopats gegen Mähren sieht 93
§ 16. Spuren eines schwachen Fortlebens der slavischen Liturgie in Mähren und Böhmen. Die Bedeutung der Wenzelslegende in dieser Frage. Würdigung derselben 100
§ 17. Klemens in Bulgarien und Mazedonien, der Umfang seines Wirkungsgebietes und die Dauer seiner Missionstätigkeit. Seine Bischofswürde und ihr Titel. Seine literarische Tätigkeit und die Sprache seiner Werke 109
§ 18. Die Frage von einer zweiten, deutlicheren slavischen Schrift. Würdigung des einzigen Zeugnisses für diese Behauptung 120
§ 19. Tatsächliche Zeugnisse der doppelten Schrift. Glagolitisches in sehr alten cyrillischen Denkmälern. Cyrillische Abschriften glagolitischer Vorlagen. Das Zeugnis Chrabrs und seine Deutung 124
§ 20. Die Erinnerung an die Tatigkeit Cyrills und Methods verbla?t im Laufe von Jahrhunderten. In Kroatien taucht die Hieronymuslegende auf. Die gelehrte Klugelei des Philosophen Konstantin im 15. Jahrhundert. Grubisics phantastische Theorie 130
§ 21. Der erste Versuch, die Frage kritisch zu behandeln, bei Gelasius Dobner. Seine Irrtümer 133
§ 22. Durich und Dobrovsky setzen die von Dobner begonnene Forschung energisch fort. Ihr reichhaltiger Briefwechsel und Meinungsaustausch über die verschiedenen Seiten der Tätigkeit Cyrills und Methods. Ribays Mithilfe. Schlözers Ansichten 137
§ 23. Kopitar als neuer Korrespondent Dobrovskys betreibt einseitig die orthographischen Reformen und tritt leidenschaftlich für den pannonisch-karantanischen Ursprung der kirchenslavischen Sprache ein 145
§ 24. Kirchenslavische Grammatik Dobrovskys, Kopitars Stellung dazu, einseitige Hervorhebung der Frage über die Heimat des -Altslovenischen-. Seine Gründe waren teile patriotische Gefühle, teils lexikalische Argumente. Würdigung dieser Argumente 150
§ 25. Kopitars Eifer beschränkte sich auf die Frage über den Ursprung der Sprache; die andere wichtige Frage über das Alter der beiden Schriften kam erst seit der Entdeckung des Glagolita Clozianus. die erst nach dem Tode Dobrovskys gemacht wurde, in den Fluß 157
§ 26. Vostokovs Forschungen wichen der Frage über den Ursprung der kirchenslavischen Sprache und der doppelten Schrift aus. Seine Entdeckung des Nasalismus machte auf Dobrovsky und Kopitar wenig Eindruck 160
§ 27. Das erste Auftreten Safariks befriedigte Dobrovsky nicht. Seine -Serbischen Lesekörner- waren von hohem kritischem Wert, von Kopitar zu wenig berücksichtigt, zum Teile bekämpft 162
§ 28. Die entgegengesetzte Auffassung der Frage über Cyrill und Method und ihr Werk seitens der beiden Slavisten spitzte sich immer mehr zu. Kopitars Verteidigung des Pannonismus zum Teile scharfsinnig, zum Teile sophistisch 166
§ 29. Der letzte Versuch der Aufrechterhaltung des Pannonismus seitens Kopitars in Hesychius Glossographus 170
§ 30. Safariks zusammenfassende Darstellung der Frage in den slavischen Altertümern; Würdigung derselben, Abweisung der Annahme zweier Hochmähren 173
§ 31. Die Entdeckung der pannonischen Legenden; Safariks Freude daruber. Seine Abhandlung –Rozkvet- beruht darauf im biographischen Teile 178
§ 32. Nach der erfolgten kritischen Ausgabe der beiden Legenden wendet Safarik seine Aufmerksamkeit dem Glagolismus zu. Die inneren Unterschiede zwischen glagolitischen und cyrillischen Bibeltexten werden analysiert. Dem glagolitischen Schrifttum wird ein ganzes Werk gewidmet, doch ohne endgültige Resultate 182
§ 33. Die Entdeckung der Prager glagolitischen Fragmente; vorsichtiges, ja ängstliches Vorgehen Safariks 187
§ 34. Safariks Meinungewechsel kommt in den beiden Abhandlungen seiner Schrift -Uber den Ursprung und die Heimat des Glagolismus- offen zurn Ausdruck; er gedenkt jetzt Kopitars 190
§ 35. Die Beweisführung Safariks für die Priorität der glagolitischen Schrift und den pannonischen Ursprung der Sprache 194
§ 36. Würdigung seiner Beweise und Ablehnung des zweiten Teiles # seiner Theorie, des pannonischen Ursprungs der Sprache 197
§ 37. Miklosichs Ansicht über das glagolitische Alphabet, dessen Priorität unbedingt zugegeben und an allmähliche Entwicklung desselben gedacht wird 205
§ 38. Betreffs des Ursprunges des Altkirchenslavischen verharrt Miklosich bei der Hypothese Kopitars; die altere Ansicht Safariks fand Verteidiger in Schleicher und Hattala, in den Fu?stapfen des Letzteren standen Mahnic und Geitler 210
§ 39. Miklosichs Gründe für den Pannonismus, zusammengefaßt in der Einleitung zur Formenlehre in Paradigmen; Würdigung derselben 214
§ 40. Die slavischen Lehnworter im Magyarischen, die Lautgruppen st-zd, der Nasalismus, die beiden Halbvokale; Wurdigung aller dieser Momente 219
§ 41. Mein Standpunkt gegenüber der Theorie vom pannoniechen Ursprung des Altkirchenslavischen seit dem Jahre 1876, wiederholt von Dr. Oblak im Jahre 1893 226
§ 42. Neue Ansicht Asböths bezüglich einiger slavischer Lehnwörter im Magyarischen; Würdigung derselben 229
§ 43. Die Stellung russischer Gelehrten zur Frage 231
§ 44. Andauernde Beschäftigung Sreznevskijs mit dem Glagolismus führte zu keinem Resultate 235
§ 45. Berichtigung einiger Fehler meiner Einleitung zur Rackischen Ausgabe des Codex Assemanianus, die Prazisierung meines damaligen und spateren Standpunktes 238
§ 46. Die von Safariks angeregten Studien des Glagolismus fortgesetzt bei den Sudslaven (Bercic, Jagic); falsche Auffassung derselben in Ru?land (Budilovic, Leonid) 243
§ 47. Die Hypothese von der Priorität des glagolitischen Schrifttums findet immer neue Stützen in den späteren Entdeckungen (Kijever Blätter, Wiener Blätter), wodurch der Zusammenhang des kroatischen Glagolismus mit dem mährisch-pannonischen erhärtert wird 245
§ 48. Die Bedeutung des sinaitischen Psalters, Wichtigkeit einer Wahrnehmung Valjavec’s 248
§ 49. Das Euchologium sinaiticum; Vondräks Nachweis seines Zusammenhanges mit den Freisinger Fragmenten. Die Bedeutung des Grskovidschen Apostolus für den Glagolismus der Hinterländer Kroatiens und Dalmatiens 251
§ 50. Die neuesten Forschungen des Altkirchenslavischen und ihr Standpunkt 257
§ 51. Die lexikalischen, von Safariks und Jagic begonnenen, von spateren Forschern (Vondrak, Oblak, Valjavec, Polivka, Stojanovic) fortgesetzten Nachweise. Eine einheitliche pannonische Redaktion ist nicht wahrscheinlich, die Abweichungen mussen nicht alle nach Bulgarien versetzt werden 262
§ 52. Lexikalische Varianten können schon auf dem mährisch-pannonischen Boden Platz gegriffen haben; Beispiele dafür 266
§ 53. Beweise für den mazedo-bulgarischen Ursprung der kirchen-slavischen Sprache aus der Grammatik: nach Lauten und Formen. Ein wichtiges Argument aus der Syntax des Altkirchenslavischen und Neubulgarischen 270
§ 54. Lexikalische Varianten: I. Abweichungen bei der Ableitung von derselben Wurzel 281
§ 55. Lexikalische Varianten: II. Unübersetzte Ausdrücke und ihr Ersatz 299
§ 56. Lexikalische Varianten: III. Abweichende slavische Ausdrücke bei der Wiedergabe desselben griechischen Wortes 322
§ 57. Der älteste Typus des Altkirchenslavischen spiegelt sich auch in anderen Teilen des alten Testamentes wieder 422
Zusätze und Berichtigungen 480
Altkirchenslavisches Wortverzeichnis 486
Griechisch-slavisches Glossar 515
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